Als ich 2019 hier in diesem Blog den Text „Der Abgesang einer archaischen Gesellschaft“ schrieb, ahnte ich nicht, wie sehr ich mit meiner Beschreibung zum Zustand unserer Gesellschaft ins Schwarze getroffen hatte. Was mich heute – fast vier Jahre später – besonders betroffen macht, ist die Tatsache, dass sich die Situation in meiner Wahrnehmung verschärft hat. Coronakrise, russischer Angriffskrieg, eine rasant wachsende Supermacht China und andere Umbrüche haben die VUKA-Welt weiter beschleunigt. Die Sehnsucht nach einfachen Lösungen auf komplexe Fragen hat der AfD ein Umfragehoch beschert. Schwurbler treiben sich nun auch auf dem Berufsnetzwerk LinkedIn herum. Es wird gelogen und gehetzt. Verschwörungstheorien verbreiten sich ungehemmt. Wissenschaftliche Ergebnisse werden ignoriert. Und wenn kein Argument den eigenen Standpunkt schlüssig erklären kann, gilt das Motto: „Wer den Gedanken nicht angreifen kann, greift den Denkenden an.“ (Paul Valéry). In den sozialen Netzwerken ist aus einem ehemals konstruktiven Diskurs eine reine Schlammschlacht geworden.
Ich hatte gehofft, dass ein „Ruck durch die Gesellschaft geht“ und sich die Deutschen auf ihren Erfindergeist und Tatendrang besinnen. Stattdessen erlebe ich viel „Mi-Mi-Mi“. Die Beharrlichkeit, mit der wir an alten Mustern kleben, ist weiterhin erschreckend. Und während in China die am schnellsten expandierende Stadt der Welt, Shenzhen, von 3.000 auf über 11 Millionen Einwohner angewachsen ist, versteigen wir uns in Deutschland zu Diskussionen über die Sinnhaftigkeit, unsere kaputten alten Heizungen auszutauschen. Da kann wenigstens jeder mitreden. Vor allem darüber fabulieren, dass die Regierung jeden Bürger dazu zwingen wollte, eine funktionierende Heizung herauszureißen. Und die Medien gießen fleißig Öl ins Feuer. Klickrate geht vor journalistischer Qualität. Stimmungsmache geht vor Faktencheck. Geistige Tiefflieger zitieren dankbar die vorgekauten Schlagzeilen und nutzen die Medien als Ersatz für den Stammtisch, an dem sie sich früher zu riesigen Kugelfischen aufgeblasen haben. Es gibt Tage, an denen es mir schwerfällt, die vielen Kugelfische zu ertragen, die sich im Netz gegenseitig beweihräuchern.
Wie kann ich mich in diesem Umfeld orientieren? Was kann ich konkret machen, um nicht selbst in den „Mi-Mi-Mi-Modus“ zu verfallen oder mich frustriert aus der Mitgestaltung der Gesellschaft und der Wirtschaft zurückzuziehen?
Stille hilft. Sie ermöglicht die Besinnung auf das, was mir WIRKLICH wichtig ist. Meine Werte geben also die Orientierung. Sie werfen das Licht auf den Weg, den ich gehe. Diese Werte sind nicht verhandelbar.
Sind sie unveränderlich?
Nein! Wenn ich zurückblicke, stelle ich fest, dass sich meine Werte verändert haben. Einiges, das mir einmal wichtig war, erscheint mir heute lächerlich. Was mir vor Jahrzehnten bedeutungslos erschien, hat nun einen großen Wert. Aber die Entscheidung, welche Werte mir wichtig sind, treffe ich selbst. Werte sind kein Mode Accessoire. Erfahrung, Erkenntnis und Umfeld formen meine Werte – nicht die Erwartungen affektierter Sprücheklopfer im Tsunami einer hektischen VUKA-Welt.
Der Weg ist das Ziel. Ich gehe ihn bewusst und mit Freude. Schritt für Schritt schiebt er sich unter die Füße. Ausgeleuchtet von meinen persönlichen Werten und Prinzipien.