Als ich 1990 Führungskraft wurde, waren Siemens und AEG die großen Player in der deutschen Elektrotechnik. Die AEG kämpfte um ihr Überleben und ich war mittendrin in diesem Kampf. Meine Beförderung beflügelte mich. Ich platzte vor Tatendrang und Energie.

Die heutige AEG hat mit dem alten Traditionsunternehmen nichts mehr zu tun

Die Führungswelt war klassisch. Es konnte über alles geredet werden – gemacht wurde, was der Boss sagte. Jede neue Führungskraft musste nach Heimbuchenthal in die „Manager-Schmiede“. Zusammen mit 15 anderen Youngstars bekam ich eine Woche lang verbale Wechselbäder. Ich erinnere mich an einen Dozenten, der mit seiner zierlichen Gestalt wie ein kleiner Terrier durch den Schulungsraum tobte, uns immer wieder zusammenfaltete und dann wieder aufbaute. Genauso wie ein fetter Magnet in einen unordentlichen Haufen Eisenspäne Ordnung bringt, sortierte der Terrier unsere Gedanken.

Als krönender Abschluss des Seminars sollte ein „Kaminabend“ stattfinden. Besondere Gäste wurden angekündigt. Nicht nur die gesamte örtliche Geschäftsführung war auf dem Weg zu uns, sondern auch ein echter Stargast: Der Direktor für Qualität. Zu dieser Zeit reiste ein solcher Direktor noch mit eigenem Chauffeur. Fragen, die wir ihm stellen sollten, mußten vorformuliert und per Fax vor seiner Anreise eingereicht werden. Heute total unvorstellbar.

In der AEG wurde Anfang der 90er Jahre jeder Beschäftigte top-down im Qualitätssystem QVP („Qualitätsverbesserung in der Praxis“) geschult. Diese Schulung war aus meiner Perspektive wirklich sinnvoll. Es mussten Berechnungen durchgeführt, Vokabular gebüffelt und viele Testfragen beantwortet werden. Das Ganze lief über viele Wochen in kleinen systematischen Schritten. Nur, wer die gesamte Schulung durchlaufen hatte, erhielt ein Zertifikat und eine spezielle Anstecknadel. Diese Nadel sollte sichtbar an der Dienstkleidung getragen werden, damit sich erfolgreiche Teilnehmer erkennen konnten. Natürlich trug auch ich die Nadel am Revers. Und weil mir die Systematik hinter QVP und das Top-Down-Prinzip wirklich imponierten, freute ich mich sehr, am Kaminabend den verantwortlichen Manager kennenlernen zu dürfen. Schließlich war er der Kopf, die Keimzelle, …das VORBILD!

Am Tag des Kaminabends waren alle mächtig aufgeregt. In einer streng hierarchischen Firma war es eine besondere Ehre, nicht nur der Geschäftsführung, sondern auch einem so wichtigen Top-Manager zu begegnen. Alle Teilnehmer waren im Anzug angetreten. Diejenigen, die QVP bereits absolviert hatten, trugen selbstverständlich ihre Nadel. Standesgemäß reiste „Herr Direktor Q“ (der Name fiel mir leider trotz maximaler Anstrengung nicht mehr ein) mit leichter Verspätung an. Das verstärkte die Wirkung seines Auftrittes. Wir saßen noch im Schulungsraum als die Show begann. Es wurde ein Frage/Antwort-Spiel mit den bereits bekannten Fragen und wohlformulierten Antworten.

Die QVP-Nadel

Mir fiel plötzlich auf, dass unser Top-Manager keine QVP Nadel trug. Ich war irritiert. In meinem Kopf versuchte ich sinnvolle Erklärungen zu finden. Vielleicht war sie einfach unbemerkt abgefallen? Oder ist in der Reinigung verloren gegangen? Wohlmöglich hatte er den Verlust gar nicht bemerkt. Als die verbale Dusche beendet war und Direktor Q sich wieder zum Aufbruch rüstete, ließ er ein höfliches, aber nicht ernst gemeintes „Haben Sie noch Fragen?“ liegen. Bevor ich es verhindern konnte, polterte aus mir heraus: „Wo tragen Sie ihre QVP-Nadel?“ Für einen kurzen Moment verwandelte sich der Raum in ein Standbild. Die berüchtigte fallende Stecknadel hätte beim Aufschlagen mächtig Lärm gemacht. Zum Glück lag Teppich auf dem Boden. Der Dozent schaute mich an. In seinem Blick erkannte ich eine Mischung aus Überraschung und Fassungslosigkeit. Direktor Q konterte mit einem entspannten Lächeln ganz elegant: „Das ist mir zu amerikanisch“.

>> Bäääähm <<. Das war ein Schlag in die Fresse. Anders kann ich es nicht sagen. Direktor Q hatte meine Haltung zu QVP in Millisekunden pulverisiert. Am anschließenden Kaminabend bemerkte ich die Enttäuschung der anderen Teilnehmer. Einige hatten direkt ihre Nadeln entfernt. Ich tat es auch. Unsere Geschäftsführer realisierten den Unmut und versuchten zu relativieren. Es war zu spät. So wurde aus einem gut gemeinten Mentoring eine handfeste Katastrophe.

Ich trug die Nadel nie wieder. Sie liegt in einer meiner Schubladen und mit ihrer Historie ist sie zum Symbol für die wichtigste Eigenschaft eines Leaders geworden: seiner Vorbildfunktion. Das fatale an dieser Geschichte ist, dass Direktor Q gar nicht bemerkt hat, welchen Schaden er angerichtet hat. Und das passiert vielen Führungskräften immer wieder. Jeden Tag. Es ist ein bisschen wie am „Domino-Day“: ein kleiner Stein kippt und erzeugt damit eine zerstörerische Kettenreaktion.

Wenn ein Leader von seinem Team ein konkretes Verhalten erwartet, muss er es vorleben – IMMER. Auch bei vermeintlichen Kleinigkeiten! Ein Leader der das tut, kann zum Mentor werden.

Bist Du bereit, Mentor zu werden? Dann schau bei Mentor Lane vorbei. Ich freue mich auf Deinen Besuch!

Die Nadel im Wespennest – ein KATASTROPHALES Mentoring!